Sexualität in Japan: von Air Sex bis zu den Hikikomori

Sexualität in Japan: von Air Sex bis zu den Hikikomori
Sara Martínez 22.02.2021

Wir alle kennen so jemanden: der Freund, der keinen Erfolg bei Frauen hatte, aber der jeden Sommer, als er nach dem Urlaub aus dem Dorf zurückkam, tausend sexuelle Heldentaten erzählte; oder die Freundin, die dem imaginären Freund, den sie am Gardasee hatte, treu blieb. Liebesaffäre zu fabrizieren ist eine Tradition, die genauso zu uns gehört wie das Märchenzählen, aber die viel mehr verpönt ist. Jetzt stelle dir Folgendes vor: du bittest deinen engsten Freund, dir zu erzählen, wie die Nacht verlaufen ist, und plötzlich steht er auf und im Rhythmus der Musik spielt er jede Liebkosung, jede Beckenbewegung, jedes Knutschen nach, aber das tut er ganz allein, voll bekleidet und ohne jemanden in der Nähe. Wir würden nichts verstehen, aber das, meine Lieben, ist nicht bloß eine Mode, sondern eine Kunst. Es wurde Air Sex genannt, in Japan erfunden (wir vermuten, dass es das Werk von vier gelangweilten Freunden war, die ein bisschen zu viel Sake getrunken haben), um die halbe Welt exportiert und, aus welchem Grund auch immer, hat es sich in den Vereinigten Staaten durchgesetzt, wo bereits Weltmeisterschaften stattfinden.

Wenn du Lampenfieber hast, dann empfehlen wir es nicht als Hobby, aber wenn Schauspielerei dein Ding ist, könnte Air Sex dich schneller zum Ruhm führen als ein Auftritt bei „Das Supertalent“. Damit du es voll und ganz verstehst, wäre es so etwas wie die Luftgitarre, d.h. Gitarre spielen ohne Gitarre. Und seien wir ehrlich, das haben wir alle schon mal gemacht. Ok, vielleicht nicht auf Wettbewerbsniveau, aber wer hat nicht zu Hause so getan, als wäre er/sie John Norum beim Hören von ‚The final countdown‘? Sagt nicht nein, denn bestimmt habt ihr es sogar mit der Melodie des Ententanzes getan. So ist es: statt einer Gitarre muss man sich einen lebendigen Körper vorstellen. Die Regeln sind streng - man steigt voll bekleidet auf die Bühne und ahmt eine heiße Begegnung nach. Dafür hat man zwei Minuten Zeit und, ja, der Orgasmus muss genau nachgespielt werden (nein, hier muss man kein Methodendarsteller sein, der in die Rolle schlüpft; hier muss man die Tränen vortäuschen).

Es stimmt, dass es viele Liebhaber von Unsinn und Dummheit gibt (wir selbst eingeschlossen), aber es ist trotzdem merkwürdig, dass Air Sex ausgerechnet in Japan entstanden ist. Ein Land der widersprüchlichen Sexualität, wo intensive erotische Bilder, aus dem die Shunga stammen (explizit sexuelle Drucke und Gemälde aus dem 16. Und 17. Jahrhundert), Manga und pornographische Anime zusammenleben, und wo es gleichzeitig spezifische Begriffe gibt, um Menschen (vor allem Männer) zu benennen, die ein sexloses Leben führen. Wie der Journalist Roland Kelts in The Guardian erklärt, ist das sexlose Japan, über das die Medien seit Jahren berichten, voll von Soshoku Danshi (passiven Pflanzenfressern), Otaku (asozialen Freaks) oder Hikikomori (Personen, die sich im Haus ihrer Eltern einschließen, ohne mit ihnen zu interagieren).

Hier werden wir nicht die Gründe für den Verlust des sexuellen Verlangens bei den Jüngsten analysieren, aber es ist merkwürdig, dass ein Spiel, in dem es darum geht, Sex nachzuahmen, in einem Ort erfunden wurde, wo echten Sex abgelehnt wird.

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